Was um alles in der Welt treibt den Mainzer an die Weinstraße? Empfiehlt der Gault Millau das Gerberhaus in Neustadt? Lieber Leser, es ist viel profaner, als du denkst. Die liebe Sonne ist es, die mir schon den ganzen Morgen mit aller frühlingshaften Kraft auf den Pelz brennt und mich von der gemütlichen Couch herunter und nach draussen treiben will…
Nun gut, mein Weib hilft etwas nach und schwärmt mir von Wissembourg vor und stellt mir etwas „Fronkraisch“ und kulinarische Genüsse in Aussicht, wenn ich denn meinem der Sonne geschuldeten Drang nachgeben und mit ihr einen Tagesausflug durch die „Palz“ gen Frankreich mache. Als kluger Ehemann gebe ich nach und füge mich in mein Schicksal. Wir wählen den Zug als probates Transportmittel, da wir davon ausgehen, nicht nur die Künste des Kochs bewundern zu wollen sondern später auch dem Rebensaft zuzusprechen.
Kurze Rast in Neustadt an der Weinstraße
In Neustadt Hbf nach einer kurzweiligen Fahrt angekommen, entschließen wir uns die vierzig Minuten Aufenthalt für eine Exkursion in die Stadt zu nutzen. Wir beschließen unsere Entscheidung, nach Wissembourg weiterzutouren oder hier zu verweilen noch ein wenig aufzuschieben. Mal schauen, was man allhier in der Pfalz zu bieten hat. Immerhin kündet ein Schild von einer Altstadt und meine Gattin spricht auch von der Mandelblüte, die man ja hier sehen muss. Das verspricht, malerisch zu werden…
Unser Weg führt uns über den Hetzelplatz in die Friedrichstraße. Es ist etwa 14:00 und in der Stadt liegt eine Mischung aus Mittagsruhe und sonntäglichem Flanieren. Es sind sicher nicht nur die Neustädter, die sich heute hier tummeln. Eine ganze Reihe KaLuMas ( für den nicht Pfalz-erfahrenen Leser: wochenendliche Tagestouristen aus Karlsruhe, Ludwigshafen und Monnem ) sind sicher darunter.
In der Lausterstraße schließlich lockt ein mittelalterlich anmutender Torbogen mit der Inschrift „… Residenz …“. Dahinter sieht es ganz nach Altstadt aus – Fachwerk zeigt sich und vor dem zugehörigen Haus hinter dem Torbogen sehen wir eine Tafel, die auf ein – wie wir vermuten – zünftiges Wirtshaus hindeutet. Wir lassen uns von der ausgestrahlten Stimmung einfangen und vertrauen ganz auf unser Gespür und kaum haben wir den Torbogen durchschritten öffnet sich vor uns eine kleine krumme Gasse, wie man sie sich in einer mittelalterlichen Stadt vorstellen mag. Die Tafel offeriert tatsächlich kulinarische Leckereien und gehört zu dem dahinter liegenden „Gerberhaus“, wie wir auf dem schmiedeeisernen Schild am mit Fachwerk gezierten Haus erkennen.
Das Gerberhaus in Neustadt
Ein urig-zünftiges Wirtshaus in der Hintergasse 6
Den Anblick einfach nur einladend zu nennen wäre untertrieben. Die kleinen Fenster mit ihren grünen Läden strahlen Gemütlichkeit aus und ein Blick hinein bestätigt unsere Hoffnung. Die Sonne steht schon etwas niedriger und wirft einen Strahl, der das Gerberhaus am Fenster des Eckzimmers des Obergeschosses trifft. Dort würde jetzt der wärmende Sonnenstrahl die Gaststube durchfluten. Diese Vorstellung und die Erwartung einer urigen Lokalität im Innern, die halten wird, was unser erster Eindruck verspricht lässt uns das Lokal betreten.
Wir haben uns nicht zu viel versprochen. Die alten Eichenbalken an der Decke und schwere Holztüren im hinteren Teil des Gastraums geben eine angenehme Stimmung von pfälzer Gemütlichkeit. Hier wollen wir bleiben. Im Obergeschoss ist tatsächlich ein weiterer Gastraum, in den man uns freundlich geleitet. Die Treppe in das Obergeschoss stammt wohl auch aus alten Zeiten. Sie blickt uns an und wir haben den Eindruck, als möchte sie uns von den vielen Menschen erzählen, die sie seit den damaligen Tagen schon auf- und niedersteigen sah.
Wir betreten die Stube und wahrhaftig finden wir den Sonnenstrahl auf dem Tisch in der Ecke, wie wir ihn draußen erhofft haben. Schnell nehmen wir Platz. Auch hier erweckt die Einrichtung den Eindruck eines urgemütlichen Lokals. An den Tischen mit ihren handspannendicken Tischplatten aus massivem Holz hätte schon Pfalzgraf Ludwig I. zechen können. Man kann ihn sich lebhaft vorstellen – wohlgefühlt hätte er sich hier, das ist sicher. Und seit wir den besagten Torbogen durchschritten haben, haben wir den Eindruck in ein Stück Welt eingetaucht zu sein, in dem die Zeit seit damals ein wenig still gestanden haben mag.
Bratwurst, Leberknödel und Saumagen auf Sauerkraut
Gut essen gehen auf pfälzisch: das Studium der Speisekarte zeigt, dass wir hier richtig sind. Wir haben uns auf Pfälzer Kost eingerichtet und genau das wird hier geboten. Meine Entscheidung steht schnell fest – Bratwurst, Leberknödel und Saumagen auf Sauerkraut und Holzofenbrot soll es werden. Viel pfälzischer geht es nimmer. Mein Weib hat sich letztlich für die „Ochsenfetzen“ entschieden, die recht mittelalterlich deutsch klingen, aber vom argentinischen Rind stammen. Die Dijon-Senf-Soße hat wohl den Ausschlag gegeben. Ich nehme vorweg noch ein Tomatensüppchen. Die Karte verspricht hausgemachte eine Leckerei und da will ich mich gerne überraschen lassen. Bei Tomatensuppe wird es der Koch nicht leicht haben, muss er doch gegen die oberleckere Tomatensuppe meiner Göttergattin antreten. Man darf gespannt sein.
Die Weinkarte ist überschaubar, aber das ist in diesem Fall der Sache nicht abträglich. Es werden einheimische Weine des „Alten Weingut Steigelmann“ aus Mussbach offeriert. Ein trockener Weißer soll es werden und ich schwanke zwischen Riesling und Grauburgunder. Bei der Entscheidungsfindung ist die im Übrgigen sehr zuvorkommende Bedienung allerdings nur wenig hilfreich. Meine Wahl fällt dann doch auf den Grauburgunder.
Der Grauburgunder
Der Grauburgunder wird in der Karte mit Aromen von Aprikose und Melone angekündigt. Die beiden Früchtchen kann ich nicht identifizieren und eine Medaille wird er auch nicht gewinnen, jedoch heisst er mich mit seiner fruchtig-trockenen, gefälligen Art herzlich in der Pfalz willkommen. Er wird zu dem deftigen Mahl gut passen, das sich meines mittlerweile doch vorhandenen Hungers annehmen wird.
Der Weg in die Gaststube des Obergeschosses führte an der Küche vorbei. Schon dort stiegen mir etliche Düfte in die Nase, die mir sagten, dass unsere Wahl gut sein muss. Die Speisekarte bittet den Gast um ein wenig Geduld, da alle Speisen frischestens zubereitet werden und somit doch ein wenig mehr Zeit für die Zubereitung benötigen.
Wir nutzen die Zeit, die wärmenden Strahlen der Sonne zu genießen und tanken Kraft. Der Winter scheint endgültig vorbei und die Energie der Sonnenstrahlen vertreibt aus uns den letzten Rest der dunklen Jahreszeit. Noch während wir uns überlegen, wohin uns unser Ausflug später noch führen soll, findet ein Amuse-Gueule den Weg zu uns. Gar nicht pfälzisch-deftig grüßt uns der Koch mit einem Lachs auf einer Mango-Creme auf einer Scheibe Pumpernickel. Wir nehmen den Gruß an und ich lasse mich ein wenig aus der Pfalz wegführen. Sehr zu meinem Vorteil, wie ich schnell feststellen darf. Ich grüble, ob der sehr würzige Pumpernickel die richtige Unterlage für den eher schüchternen Lachs und die Mangocreme ist. Eventuell hätte ich da Alternativen gewählt, was aber nicht als Malus gelten soll, sondern mehr eine Überlegung zur Perfektion darstellt. Einziger wirklicher Nachteil: kaum hat sich mein Gaumen an das Intermezzo gewöhnt und ich komme ein wenig ins Träumen und Sinnieren, stelle ich fest, dass ein Amuse-Gueule leider eben doch nur eine Amuse bouchée – ein Mundvoll – ist.
Die Tomatensuppe: Eine gelungene Überraschung
Nicht viel später findet die Tomatensuppe den Weg an den Tisch. Der Koch hat es in der Tat geschafft mich zu verblüffen. Er ist gar nicht erst in Konkurrenz mit den Kochkünsten meines Weibes getreten. Er hat ein anderes Rezept gewählt, dieser Schlingel. Eine weise Entscheidung, welche mir noch dazu verhülft, eine ganz spannende Variante des Themas Tomatensuppe kennenzulernen. Sie schmeckt viel gemüsiger als jene meiner besseren Hälfte, von der ich mehr die fruchtige Ausführung kredenzt bekomme. Ich rätsle und analysiere, welche Ingredienzien er wohl bemüht haben mag. Ich komme zum Schluss, dass wohl Sellerie dabei sein muss – allerdings nicht zu viel, denn entgegen seiner Art drängt der Sellerie hier nicht in den Vordergrund, sondern hält sich mehr im Hintergrund. Über all die Forschung hinweg vergesse ich nicht, die Tomatensuppe zu genießen. Und an dieser Stelle zu loben, denn das hat sie verdient.
Grauburgunder und Riesling hatten ja bereits vorhin um meine Gunst gebuhlt. Aus irgendeinem Grund wollte ich nicht bei meiner Entscheidung für den Grauburgunder bleiben. Es kann die fruchtige Note gewesen sein oder einfach meine Neugier, die mich zum Überlegen trieb. Ganz entgegen meinen Grundsätzen entschloss ich mich dann, den Wein zu wechseln und dem Riesling auch eine Chance zu geben, mein Herz zu erfreuen.
Der Riesling
Der Riesling kommt ebenfalls vom „Alten Weingut Steigelmann“ aus Mussbach. Und Ja! hier finde ich mich wieder, der Riesling will zu diesen Speisen getrunken werden. Auch hier finde ich die einfache aber vorhandene Qualität vor. Ein Riesling ist ein Riesling, ist ein Riesling… Er hat als Riesling aus der Pfalz weniger Säure, als ein Riesling von Mosel oder Ahr. Dafür ist er von seiner Art her schon ein wenig wuchtiger und bringt seinen eigenen Charakter mit. Einen Hauch Mineralien im Abgang glaube ich erkannt zu haben, dann besinne ich mich, dass ich mir ja heute gar nicht so viele Gedanken machen mag – sondern ausspannen. Ich merke, wie sich das Glas Riesling schneller leert – was ja nicht gegen den Riesling sprechen muss.
Ochsenfetzen und Saumagen
Die Ankündigung einer Wartezeit wäre nun wirklich nicht nötig gewesen. Mit unseren Überlegungen zu Riesling, Tomatensuppe & Co. – zumal gestärkt durch die Strahlen der fleissig arbeitenden Pfälzer Sonne – verging die Zeit im Nu. Die „argentinischen“ Ochsenfetzen und auch meine Pfälzer Leckereien gelangten im gefühlt optimalen Zeitpunkt an den Tisch. In angenehmer Stimmung beginnen wir den Hauptgang.
Die Ochsenfetzen bringen natürlich die typischen Eigenschaften argentinischen Rindfleischs mit. Sie sind fest in ihrer Konsistenz und saftig und aromatisch im Geschmack. Hier zahlt es sich in der Tat aus, dass diese Tiere in den unendlichen Weiten der Weiden Argentiniens in einer natürlichen Umgebung aufwachsen dürfen. Klares Wasser, reine Luft und das saftige Gras der argentinischen Pampa tragen viel zum Wohlgeschmack des Fleischs bei.
Bei der Dijon-Senf-Soße sind wir etwas überrascht. Die Soße ist etwas sehr mild und die typische Würze – also das, was unsere Erinnerung mit dem Attribut „Dijon“ verbindet – ist nicht vorhanden. Die Soße ist auch recht mächtig, was auf die eine oder andere Zutat schließen lässt. Schade eigentlich. Schade ist auch, dass der Salat, welcher zu den Ochsenfetzen gereicht werden sollte, vergessen wurde. Die Zahl der Gäste war eher gering, so dass dies nicht hätte passieren müssen.
Was Bratwurst, Leberknödel und Saumagen anbelangt, bin ich sehr zufrieden. Die Bratwurst ist feinwürzig, mild im Geschmack. Die Leberknödel sind herzhaft und haben eine angenehm lockere Konsistenz sowie einen deftigen Eigengeschmack. Die besondere Note der Leber dominiert den Geschmack, ohne aufdringlich zu sein. Der Saumagen wurde in der Pfanne angebraten und ich bin nochmals froh, dem Riesling eine Chance gegeben zu haben: hier können beide ihre Trümpfe ausspielen.
Das Sauerkraut ist sehr mild, nicht zu vergleichen mit dem Elsässer Sauerkraut, das eine wesentlich kräftigere Note mitbringt. Naja, ich merke, dass ich das Letztere doch etwas mehr liebe, dennoch verhilft das hiesige Kraut den drei fleischigen Tenören zu einem starken Auftritt mit einem wohlverdienten Applaus unserer beider Gaumen.
Offensichtlich ist die Pfälzer Küche die Stärke des Kochs. Hier spielt er Trumpf auf Trumpf aus. Wir sinds zufrieden und haben die Zeit im Gerberhaus sehr genossen und haben die zünftige Location schon für einen potentiellen Pfalzausflug mit Freunden vorgemerkt.
Vannini – der Name für Eis in Neustadt
Nach unserem gelungenen Mahl im Gerberhaus treibt es uns natürlich zur Wanderung durch Neustadt und hinaus in die Natur. Remember: „die Mandelblüte“. Die Sonnenstrahlen haben bei mir allerdings auch sommerliche Gelüste auf Eis ausgelöst und so schweifen meine Blicke suchend umher. Auf dem Marktplatz begegnen uns zahlreiche Eisesser und ich spreche einige auf die Herkunft ihres Labsals an. Man schickt uns schnell zu Vannini – dem Inbegriff für bestes Eis in Neustadt, wie uns mehrfach versichert wird. Wir sind neugierig und folgenden den eindeutigen Hinweisen. In der Hauptstraße an der Kreuzung Marstall und Stangenbrunnengasse werden wir fündig. Das erste, was wir sehen, ist eine doppelte Menschenschlange, die diszipliniert ansteht um eine der offensichtlich sehr begehrten Eistüten zu erhaschen.
Wir reihen uns in die eine Schlange ein, denn wir wollen der Sache auf den Grund gehen. Wir beobachten, wie die (vier!) Eisverkäufer mit atemberaubender Geschwindigkeit arbeiten um die Welt glücklich zu machen. Schließlich fragt man auch uns nach unserem Begehr und wir wählen Sauerkirsch (das man in Mainz leider nicht erhält) sowie Himbeere und Zitrone. Es ist supercremiges Joghurteis, das sich sofort an unsere Zunge schmiegt und von dort seine fruchtig-frischen Geschmacksnoten entfaltet. Wir erkennen schnell, was alle Neustädter schon lange vor uns erkannt haben: Vannini IST das Synonym für Eis in Neustadt.
Die Sache mit der Mandelblüte
Ja, wir kamen wirklich zum richtigen Zeitpunkt nach Neustadt. Die Mandelblüte ist in vollem Gange und wir genossen auf unserem Streifzug durch Stadt und Natur ausgiebig die Zeichen des beginnenden Frühlings. Neustadt an der Weinstraße ist eine Reise wert, nicht nur aber auch wegen der Mandelblüte. Hier ist auf jeden Fall das Mandelblütenfest in Gimmeldingen zu erwähnen, welches wohl am 15. März stattfinden wird.
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